Kinder mit Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben sind nicht krank.

Kinder mit Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben sind nicht krank.

(NL/4798299910) Stellungnahme der LegaKids-Stiftung und der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS) zur soeben veröffentlichten Leitlinie Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/oder Rechtschreibstörung“ der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie.

Die medizinische Diagnose Legasthenie ist irreführend und schadet den Interessen der Kinder.

München, 15. Mai 2015

Die medizinische Diagnose Legasthenie ist irreführend und schadet den Interessen der Kinder

Das Recht auf Förderung darf keinem Kind genommen werden. Dieses Grundrecht auf individuelle Förderung wird durch die Diagnose-Leitlinie massiv infrage gestellt.

Die in der Leitlinie vorgestellte Diagnostik schadet mehr, als sie hilft. Kinder, die zum Testzeitpunk nicht den Kriterien entsprechen, werden allein gelassen. Wir sollten vielmehr die individuellen Probleme beim Lesen und Rechtschreiben möglichst genau erfassen, um alle betroffenen Kindern angemessen fördern zu können“, so Prof. Renate Valtin von der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS)

Ausgehend von den Diagnosekriterien der Leitlinie, könnte bereits jedes vierte Kind als Legastheniker“ diagnostiziert werden. Aus Schülern werden durch die medizinische Diagnose Patienten. Lehrkräfte und Schulen können sich aus der Verantwortung zurückziehen, denn sie sind für eine Therapie erkrankter Kinder nicht zuständig bzw. ausgebildet. Die Unterstützung der Schule wird gleichsam auf den Notenschutz reduziert. Auch werden Kinder mit diagnostizierter Legasthenie oft als hoffnungslose Fälle betrachtet und erst gar nicht aufgefordert, an schulischen Förderungen teilzunehmen.
Eine Diagnose nach den Leitlinien liefert zudem keinerlei Hinweis darauf, in welchen schriftsprachlichen Bereichen eine Förderung sinnvoll oder notwendig wäre.

Eine medizinische Diagnose reduziert das Phänomen Lese- und Rechtschreib Schwierigkeiten auf eine Krankheit oder Störung innerhalb des Kindes. Die Schwierigkeiten haben jedoch vielfältige Ursachen: Manche Kinder bringen weniger Begabung für den Umgang mit der Schriftsprache mit (ähnlich wie unmusikalische oder unsportliche Kinder). Andere haben Schwierigkeiten bei der Hörverarbeitung, bei der Sprachentwicklung oder beim Sehen. Auch überforderte Lehrkräfte, eine unzureichende Didaktik oder schwierige Familienverhältnisse können eine Rolle spielen. Gemeinsam ist allen Kindern, dass sie kompetente Unterstützung beim Lesen und Schreiben benötigen.

Einen Notenschutz und die Möglichkeit zu einer Förderung bei Lese- oder Rechtschreibschwierigkeiten bekommen nur Kinder, die eine auf einer Momentaufnahme beruhende medizinische Diagnose erhalten. Lese-Rechtschreibprobleme sind aber letztlich graduell unterschiedliche Ausprägung auf einem Kontinuum. Eine diagnostische Aufteilung der Kinder an willkürlich festgesetzten Punkten auf diesem Kontinuum in normal“ oder gestört“ ist daher wissenschaftlich nicht haltbar und pädagogisch kontraproduktiv.

Auch das Selbst- und Fremdbild der Kinder wird negativ beeinflusst: Nach einer kurzen Phase der Entlastung Ich bin nicht dumm, ich habe Legasthenie!, folgt häufig eine tiefe Resignation, da die Kinder selbst und vielfach auch die Erwachsenen im Umfeld die Legasthenie für eine Krankheit oder Störung halten, die kaum veränderbar ist.
Die Handlungsanweisungen zur Diagnose einer Lese- und/oder Rechtschreibstörung in der Leitlinie sind außerdem so vage und großzügig gefasst, dass gut einem Viertel aller Kinder und Jugendlichen eine Störung bescheinigt werden kann, sofern sie denn zum Arzt gehen.

Dr. Britta Büchner, Leiterin der LegaKidsStiftung: Statt einer zweifelbehafteten medizinischen Klassifizierung und Stigmatisierung brauchen wir das gemeinsame Engagement von Eltern, Lehrkräften, Schulen und außerschulischen Förderkräften, um Kindern zur Seite zu stehen und einer Verschärfung der schriftsprachlichen Defizite vorzubeugen. Siebeneinhalb Millionen erwachsene funktionale Analphabeten in Deutschland zeigen die Dringlichkeit dieses Anliegens.

Im Interesse der betroffenen Kinder gilt es im Sinne einer Förderdiagnostik die individuellen Probleme und Ursachen beim Lesen und/oder Rechtschreiben zu erfassen. Im nächsten Schritt muss Kindern, aber auch Eltern und Lehrkräften angemessenes Rüstzeug vermittelt werden, um Kinder zu unterstützen, angemessen Lesen und Schreiben zu erlernen.
Es ist weder wissenschaftlich haltbar noch zielführend, den Kindern eine Störung zu bescheinigen, ihre Schwierigkeiten zu pathologisieren und damit die Ursachen der Schwierigkeiten allein dem Kind aufzubürden.

Ausführliche Stellungnahme siehe: http://www.legakids.net/eltern-lehrer/info-ueber-lrs-co/neues/

LegaKids ist eine gemeinnützige Stiftung zur Lese-, Schreib- und Rechenförderung. Dabei wird ein ganzheitliches Konzept verfolgt. Für Kinder gibt es interaktive Online-Spiele, Rätsel und Filme, die einen spielerischen Umgang mit Lesen und Lernen vermitteln. Eltern und Lehrer finden bei LegaKids Informationen und Tipps zum Umgang mit Lese-Rechtschreib-Unsicherheiten, LRS, Legasthenie oder Rechenschwäche.
Das Projekt wurde 2004 begonnen. Im Juni 2014 wurde LegaKids in die LegaKids- Stiftungs-GmbH eingebracht. Damit soll sichergestellt werden, dass das Angebot weiterhin für jeden frei zugänglich ist. Die LegaKids-Stiftung verfolgt ausschließlich soziale und gemeinwesenbezogene Ziele und finanziert sich ausschließlich über Spenden und Sponsoren. Unterstützung findet LegaKids duch Die AOK-Die Gesundheitskasse und den Mildenberger Verlag.
Das Projekt alphaPROF arbeitet an der besseren Fortbildung von Lehrkräften zur Erkennung und Behandlung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten: www.alphaprof.de.

Kontakt
LegaKids Stiftung
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